Vorratsdatenspeicherung

Was bedeutet Vorratsdatenspeicherung?
Vorratsdatenspeicherung bezeichnet die verdachtsunabhängige Speicherung der Verkehrs- und Kommunikationsdaten die durch Telekommunikation entstehen. Gemeint ist die Speicherung von jeglichen Daten die beispielsweise bei einem Telefonanruf, einer E-Mail oder einer SMS entstehen auf Vorrat (über einen längeren Zeitraum). Bei Handytelefonaten werden dabei zudem die Standorte gespeichert. Bei Internetanschlüssen die IP-Adresse[1], die dem Nutzer zugeteilt wurde. Es werden auch Telekommunikationsversuche gespeichert. Der Inhalt der Kommunikation wird dabei nicht gespeichert.[2]

Die Vorratsdatenspeicherung in der EU
Am 15. März 2006 wurde die Richtlinie zur Einführung einer europaweiten Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten (Richtlinie 2006/24/EG) nach dem schnellsten Gesetzgebungsverfahren der EU-Geschichte verabschiedet. Ziel war es nach den Anschlägen in Madrid 2004 und London 2005 Möglichkeiten zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus sowie der organisierten Kriminalität zu schaffen. Die Speicherung von Vorratsdaten sollte einheitlich stattfinden, um mit der gestiegenen mobilen Kommunikation und Internationalisierung Schritt halten zu können.[3]
Die Richtlinie sieht vor die Verkehrsdaten zwischen 6 und 24 Monate[4] von Telekommunikationsanbietern speichern zu lassen. „Gespeichert werden sollen die Daten von Festnetz und Mobilfunk, von SMS, EMS und MMS und Internetprotokollen, nicht aber die Inhalte der jeweiligen Kommunikation.“[5] Der Zugriff auf diese Daten ist auf ’schwere Straftaten‘ beschränkt, welche von den Mitgliedsstaaten unterschiedlich definiert werden.[6]
In Rumänien und Bulgarien wurden die dortigen Umsetzungen der Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt.[7] Auch in einigen weiteren EU-Mitgliedsstaaten wurde die Vorratsdatenspeicherung bisher noch nicht umgesetzt (z.B. Schweden).[8]


Traueranzeige nach der Bundestagsentscheidung zur Vorratsdatenspeicherung
(Quelle: AK Vorratsdatenspeicherung[17])

Die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland
Der Deutsche Bundestag lehnte die Speicherung von Verkehrsdaten schon mehrfach ab – u.a. 2004 bei der Revision des Telekommunikationsgesetzes.[9] Eine Auskunftserteilung, über bei den Telekommunikationsanbietern zu Abrechnungs-zwecken gespeicherten Verbindungsdaten,[10] ist jedoch schon seit dem 1. Januar 2002 möglich.[11]
Auf EU-Ebene wurde aber dennoch eine Vereinheitlichung der Speicherung der Kommunikationsverkehrsdaten diskutiert und eine Richtlinie beschlossen. EU-Richtlinien müssen in den Mitgliedsstaaten in nationale Gesetze umgesetzt werden. Die in der Bundesrepublik unpopuläre Vorratsdatenspeicherung kam so durch die europäische Hintertür nach Deutschland und trat zum 1. Januar 2008 in Kraft (mit einer Übergangsfrist bis 1. Januar 2009 für Internetdienstleister).[12]
Die Verwendbarkeit der Daten ging in Deutschland allerdings über die Vorgaben der EU deutlich hinaus. Die Daten der Vorratsdatenspeicherung durften auch zur Verfolgung von Straftaten im Allgemeinen, der Abwehr von erheblichen Gefahren für die öffentliche Sicherheit, zur Erfüllung von Geheimdienstaufgaben und bei Internetvergehen verwendet werden.
Für all diese Verwendungsmöglichkeiten galt eine weitere deutsche Besonderheit, der Richtervorbehalt. Ausgenommen hiervon war die Abfrage einer Identität, die hinter einer IP-Adresse steht.[13]
Diese breite Verwendungsmöglichkeit, die deutlich über die von der EU-Richtlinie vorgesehenen ’schweren Straftaten‘ hinausgeht, wurde vom Bundesverfassungsgericht am 11. März 2008 aufgrund einer einstweiligen Anordnung auf ’schwere Straftaten‘, die sogenannten Katalogstraftaten, eingeschränkt.[14]

Die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung
Das Bundesverfassungsgericht erklärt die deutsche Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung am 2. März 2010 für nichtig. Sie sei nicht mit dem Grundgesetz (Art. 10 Abs. 1 GG – Telekommunikationsgeheimnis) vereinbar, die bisher gespeicherten Daten seien unverzüglich zu löschen. Der Grund dafür liegt in dem Fehlen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, es wäre „weder eine hinreichende Datensicherheit, noch eine hinreichende Begrenzung der Verwendungszwecke der Daten“[15] gegeben.
Eine Vorratsdatenspeicherung wurde allerdings nicht für unmöglich erklärt, vielmehr sei die Umsetzung der Richtlinie nicht Verfassungskonform – die Richtlinie selbst könne im Einklang mit dem Grundgesetz umgesetzt werden. Das Bundesverfassungsgericht nennt in seiner Entscheidung die Kriterien für eine konforme Umsetzung.[16]

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[1] Eine IP-Adresse ist eine Kennung aus dem Computerbereich. Sie wird im Internet vergeben um Internetanschlüsse eindeutig identifizieren und ansprechen zu können.
[2] Engling, Dirk (2008): Vorratsdatenspeicherung. In: Gaycken, Sandro / Kurz, Constanze (Hrsg.) (2008): 1984.exe. Gesellschaftliche, politische und juristische Aspekte moderner Überwachungstechnologien.
[3] DANA – Datenschutz Nachrichten, 2/2006, S. 52 – 55
Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit http://www.bfdi.bund.de/cln_007/nn_533578/DE/Schwerpunkte/Vorratsdaten/Artikel/Vorratsdatenspeicherung.html
[4] Ein Mitgliedsstaat kann nach Begründung den Zeitraum allerdings nach oben hin verlängern.
[5] siehe 3
[6] siehe 3
[7] Heise Online (2009): http://www.heise.de/newsticker/meldung/Rumaenisches-Verfassungsgericht-untersagt-Vorratsdatenspeicherung-821137.html
[8] Krempl, Stefan (2010): http://www.heise.de/newsticker/meldung/Schweden-widersetzt-sich-der-Vorratsdatenspeicherung-923756.html
[9] siehe 2
[10] Sollten die Daten allerdings nicht benötigt werden (z.B. bei Flatrates) sind sie unverzüglich zu löschen. Es ist allerdings möglich die Daten dennoch einen gewissen Zeitraum zur Gefahrenabwehr zu speichern – so speichert die Telekom IP-Adressen bis zu 7 Tage.
[11]Grafe, Adina (2008): http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/6085/pdf/Verkehrsdaten.pdf
[12] siehe 2
[13] Bundesgesetzblatt (2007): S. 3208
Bundesverfassungsgericht (2010): http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg10-011.html
[14] Deutscher Bundestag (2008): http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/111/1611139.pdf
[15] siehe 13
[16] siehe 13
[17] http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Bild:Trauer_GG-12.jpg
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